Die
Hartz-Four Truppe entsteht
Was
bisher geschah: Letzte Woche wurde Hartz-Four gegründet – jetzt
gilt es sich um eine ehemalige Supermarktverkäuferin zu kümmern...
Janet
Krause öffnete die Augen. Grelles Licht schien ins Wohnzimmer, die
DVD-Player-Anzeige switschte von 11 Uhr 32 zu 11 Uhr 33. Sie lag im
Bademantel auf der Couch.
Seit
anderthalb Wochen war sie nun arbeitslos und es war nicht die erste
Nacht, in der sie vor dem Fernseher eingeschlafen war.
Sie
richtete sich auf, griff in die Chipstüte und schlurfte crunchend
Richtung Bad. Vor der Klotür blieb sie wie versteinert stehen: Im
Flur lag ein großes Paket.
„Wie
kommt das denn hier her? Soll ich die Polizei rufen?“, schoss es
ihr durch den Kopf.
Doch
die Neugier war zu groß und sie riss das Klebeband ab: Treueherzen!
46 Rollen Treueherzen! Als sie noch gearbeitet hatte, hatte sie die
kleinen Papierherzen tausendfach an Kunden verteilt.
Aber
wer hatte das Paket in ihre Wohnung geschmuggelt? War das wieder so
eine Aktion wie die mit dieser scheiß Erdnussschale?
Nach
der Gründung der Hartz-Four hatte es eine lebhafte, politisch nicht
immer korrekte Diskussion gegeben, wie mit dem Fall „Krause“
umzugehen sei.
„Die
soll flaschn sammln jehn!“, forderte Fred.
„Nein,“
entgegnete Dietmar, „sie ist jetzt ein Schützling von uns und sie
braucht ein Startkapital. Wenn wir sie mit Pfandflaschen versorgen,
vergrößern wir nur den Wettbewerb auf dem Markt. Außerdem braucht
sie eine Währung, mit der sie was anfangen kann... Sie bekommt von
uns diese Treuepunkte ...“
„Herzen,
Treueherzen!“, rief Sandra.
„Richtig!
Man kann die Dinger gegen irgendwelches Edelbesteck und Geschirr und
so eintauschen. Für dreißig Treueherzen bekommt man z.B. ein Latte
Macchiato-Set. Mit anderen Worten: Mittelschichtler haben durch diese
Treueherzen die Möglichkeit, ein bisschen Oberschicht zu spielen.
Und obwohl die Krause mittlerweile in der Unterschicht ankommen ist,
hat sie bestimmt noch einige Freundinnen aus der Mittelschicht, von
denen sie früher um Treueherzen angebettelt worden ist. Jetzt, in
Zeiten der Not, sollen diese Treueherzen ihr Startkapital werden.“
Ob
das Paket etwas mit ihrem Traum zu tun hatte?, fragte sich Frau
Krause, als sie beglückt, aber ratlos auf die Papierrollen schaute.
Auch
in der letzten Nacht war es ihr erst nach etlichen tränenreichen
Telefonaten gelungen, sich in den Schlaf zu heulen. Keine Chance, da
auch noch Freds Jägi-Fahne einzunorden, die sich in ihr Schlafzimmer
geschlichen hatte!
„Du
hast vielleicht deinen Job verloren“, raunte ihr der kleine
Flaschengeist zu, „aber dafür vier Freunde gewonnen …“
Vor
Janets halb geöffneten Augen verdichtete sich die Alkoholwolke für
den Bruchteil einer Sekunde zu einem feinen Nebel, der, beleuchtet
vom Mondlicht, ein Herz in die Luft zeichnete. Dann wurde die Fahne
wieder transparent und flüsterte: „Wir
sind treu – bis zu deiner nächsten Festanstellung.“
Das
Telefon klingelte – Birgit? Ob sie ihr das erzählen sollte? Aber
ging nicht! Selbst wenn das eine Falle war: Mehr als einmal feuern
geht nicht! Und außerdem war Birgit doch schon lange scharf auf das
Messerset, das es bei Kaisers für schlappe 50 Treueherzen gab...
Die
legendäre Gründungssaga der Hartz-Four-Truppe ist hiermit beendet. Wie geht es jetzt weiter?
©
Georg Weisfeld c/o Agentur
Literatur Hebel & Bindermann
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