Hartz Four - eine Superhelden-Kurzgeschichten-Saga


Seit Jahren sind Hartz-IV-Empfänger die Deppen der Nation. Ob in Ein-Euro-Jobs als billige Arbeitskräfte missbraucht oder vom Jobcenter schikaniert – immer müssen Hartzies herhalten. Doch jetzt treten vier Superhelden in Berlin-Neukölln an die Seite der Armen und Entrechteten: Hartz – Four!

Dietmar Röber


Dietmar

Sandra Röber


Mike Matschke


Fred


Der Boss der Truppe verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Das Glasauge, das man ihm dafür einsetzte, befähigt ihn nun durch Gegenstände schauen zu können...Dietmars kleine Schwester ist mit allen esoterischen Wassern gewaschen! Häufig sind es ihre prophetischen Träume, die der Hartz-Four Gruppe zeigen, welche arme Hartz-IV-Seele gerade Hilfe braucht.Seit einem allergischen Anfall verfügt dieser Bodybuilder über enorme physische Kräfte, die er allerdings nicht immer kontrollieren kann.Diesem Vollbluttrinker ist es gelungen seine Alkoholfahne zu domestizieren: Diese kann sich unsichtbar durch Räume bewegen und Stimmen imitieren - Sie ist das heimliche fünfte Mitglied des Hartz Four - Clans...



Mittwoch, 30. Januar 2013

Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Dietmar und Sandra steuern auf das Haus zu, in dem der Ein-Euro-Jobber Mike an den Aufgaben seiner Arbeitgeber verzweifelt.

Nach etwa fünf Minuten hatten die beiden gegenüber einer opulenten Villa Position bezogen und Dietmar richtete sein Glasauge auf das Erdgeschoss.
Das soll also dein Mike sein,“ sagte Dietmar „Oh ho, der hat ja ein richtiges Bodybuilder-Kreuz. Du träumst also nachts von gut gebauten Männern, die…“
Halt deinen Mund“, fauchte Sandra.
Mann, Mann, Mann, der hat ja im Garten ganze Arbeit geleistet …“
Ja, ich glaube, es ist wirklich gut, dass wir hier sind!“.

Im Haus tat Mike derweil alles, um den Anforderungen seines Arbeitgebers gerecht zu werden.
Frau Klausen, bitte öffnen Sie die Tür, ich weiß, dass Sie da sind!
Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück!“
Nichts – keine Reaktion.
Mike war erneut die Treppe zur Dachkammer emporgestiegen.
Ich habe hier zwei Brötchen mit Johannisbeermarmelade, ein Fünfeinhalb-Minuten-Ei, Kamel... äh, nee – karamellisierte Garnellen auf Räucherlachs und einen frisch gepressten Orangensaft. Steht zumindest auf dem Zettel!“
Wieder nichts…
Ihre Mutter hat mich beauftragt, Ihnen das Essen zu bringen, das ist wichtig für Sie! Und wenn ich das nicht mache, dann verliere ich meinen Ein-Euro-Job…“
Er donnerte mit der Faust gegen die Tür.
Ich warte jetzt hier so lange, bis Sie raus kommen… Irgendwann müssen Sie ja…“
Schmeißen Sie es weg“, hörte er plötzlich eine verängstigte Stimme von drinnen.
Wie bitte? …Sie sind also doch da!“
Ähm ja, schmeißen Sie das Frühstück einfach weg! Ich, ich hab keinen Hunger.“
Aber ihre Mutter…“
Ich sage Ihnen, wo Bargeld ist“, unterbrach ihn Patrizia, „da können Sie sich fünfzig Euro nehmen, wenn Sie mich in Ruhe lassen.“
Mann, das war allerdings verlockend! Schließlich musste er noch die Anabolika abbezahlen, die ihm sein Freund Rudi letztens mit ins Fitnessstudio gebracht hatte. Aber Mike zögerte nur kurz:
Nein, Frau Klausen, ich werde meinen Ein-Euro-Job nicht riskieren…“
Wenn Sie nicht machen, was ich sage“, hörte er die junge Frau kreischen, „dann sag ich meinen Eltern, dass Sie mich sexuell belästigt haben, und dann gehen Sie ins Gefängnis. Mein Vater ist Rechtsanwalt.“
Das saß. Mike verharrte reglos auf dem Treppenabsatz.
Na gut“, murmelte er schließlich. Dann lauter: „Ich werde Ihr Essen wegmachen, aber kein Wort zu Ihren Eltern.“ Und er trottete die Stufen wieder hinab.
Wenn nachher jemand die Reste im Müll findet“, dämmerte es ihm auf dem Weg nach unten, „dann bin ich meinen Job los.“ Er warf einen Blick auf das Tablett: „Ich muss den Kram selber fressen. Oh Mann, kaum Eiweiß oder Kohlenhydrate, aber Job ist eben Job …“ Doch eigentlich war alles ganz lecker, bis auf dieses Kamel-zeugs. Mike würgte. Als er überlegte, wie er sich weiter nützlich machen konnte, verspürte er plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Und dann ging alles sehr schnell: Ihm wurde heiß und immer heißer und seine massiven Beine klappten ohne Widerstand weg. Er krallte sich am Küchentisch fest – und dann wurde es schwarz vor seinen Augen.
Draußen kommentierte Dietmar die Ereignisse nur mit einem „Verdammt, die arme Sau hat irgendwas erwischt!
Von Yuppies vergiftet oder ein ganz gewöhnlicher Superhelden-Transformationsprozess? Nächste Woche erfahren wir mehr...
© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Freitag, 25. Januar 2013



Die Hartz-Four Superhelden in ihrem ersten Hörspielabenteuer. 
Produziert von Stephan Ziron
Gesprochen von Anne Krüger, Georg Weisfeld, Stephan Ziron

Mittwoch, 23. Januar 2013

Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Kaum im reichen Zehlendorf angekommen, wird Dietmars Superhelden-Identität von einem Flaschensammler entlarvt....

Bist du… du bist so ein Zauberer, so ein Magier… Nein, du bist: Ein Superheld!“ Der Hartzie geriet richtig ins Schwärmen. Dietmar drückte sich an dem Mundgeruch vorbei.
Jaja, alles klar, kann sein… Du, ich muss jetzt los!“
Ey, nö, warte mal!“ Dietmar sah, wie die eben noch müden Augen des Mannes zu leuchten begannen.
Ich meine, ich kenn mich da aus, ich hab früher diese Superman- und Batman-Comics gelesen. Und ich war ein riesiger Fan von Spiderman …“
Das habe ich sofort gesehen…“, unterbrach ihn Dietmar, doch der andere ließ sich nicht stören.
„…Und da hab ich mir immer vorgestellt, wie cool das wäre, wenn es Spiderman richtig geben würde! Aber klar, die allgemeine Meinung war immer: Die gibt’s nicht, die Superhelden, aber jetzt, ich meine, wo es dich ja gibt… Verstehst du? Du bist ja vielleicht ein Superheld, ohne es zu wissen…“
Er schaute an der schlaksigen Statur Dietmars hoch.
„…Ich meine, das ist wirklich nicht böse gemeint: Du siehst jetzt nicht grade aus wie ein Held. Aber ich sag einfach mal so: Wenn es dich gibt…“
Er reckte sich, um Dietmar zuzuflüstern: „…Warum soll es dann nicht auch richtige Superhelden geben, also die, die so spidermanmäßig durch die Häuser springen können, oder so? Vielleicht gibt es die ja, die werden nur von den bösen Mächten unterdrückt…“
Hätt ich bloß gelogen“, dachte Dietmar. Wenn er auf Superhelden-Nerds traf, wurde es in der Regel nervig, weil er ihnen geduldig die Existenz von diesen amerikanischen Comichelden ausreden musste – das gehörte schließlich zur Aufgabe eines Hartz-Angels, denn ihr Irrglaube konnte den Nerds gefährlich werden: Du darfst in dieser Gesellschaft an die unbefleckte Empfängnis glauben, an die Auferstehung Christi oder an 72 Jungfrauen, die dich im Himmel erwarten, wenn du aber sagst: „Ja, ich glaube an Spiderman, ich bin ein Spidermanjana“, dann hopp, ab geht’s in die Klapse.
Nein, die gibt es nicht!“, antwortete er mit fester Stimme.
Sicher? Aber wieso denn? Du hast doch grade zugegeben, dass du selber ein Superheld bist!“ Dietmar sah in dem Blick eine Mischung aus Trotz und Verzweiflung.
Na ja schon, aber …Na, das ist doch ganz klar: Mich gibt es – ich bin ein Superheld, wie du eben feststellen durftest, aber es gibt keine albernen Comichefte, in denen ich auftauche. Bei Spiderman ist das anders: Es gibt Comichefte über ihn, dafür existiert er aber nicht …“
Und das soll beweisen, dass es Spiderman nicht gibt?“
Ja, so etwas nennt man Dialektik …“
Der Hartzie schwieg für einen Moment.
Verstehe …“, murmelte er frustriert und zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
Abgesehen davon ist es doch so viel besser: Was willst du denn mit einem Typen, der an Spinnweben durch die Luft springt. Ich kann dir helfen, deine Flaschen zu sammeln …“
Ja schon“, antwortete der Fremde frustriert und guckte Dietmar aus feuchten Augen an. „Aber ich habe noch nie in einem Comicheft gesehen, dass Leute wie ich, die eigentlich mal Industriemechaniker gelernt haben, in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen müssen.“

Auf diese Form der Dialektik hatte selbst Dietmar keine Antwort.
Diese Welt braucht Veränderung! Wieder einmal wurde ihm die Dringlichkeit eines Umsturzes dieser bourgeoisen machiavellistischen Herrschaftsordnung bewusst. Denn wie sollten sie allein, er und seine dreizehn Jahre jüngere Schwester, zu „Angels“ für die Hartzies werden können? Beim Mülldurchforsten helfen – das konnte nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein …
Ich muss jetzt wirklich“, sagte er und ließ den Penner einfach stehen.

Ich weiß genau, wo wir lang müssen“, rief Sandra ihrem Bruder entgegen. „Das ist absolut genau wie in meinem Traum… Jetzt muss ich nur noch meinem Gefühl folgen…“
Na dann fühle mal, ich folge,“ sagte Dietmar und trottete seiner Schwester hinterher.
Nach etwa fünf Minuten hatten die beiden gegenüber einer opulenten Villa Position bezogen und Dietmar richtete sein Glasauge auf das Erdgeschoss.
Das soll also dein Mike sein,“ sagte Dietmar „Oh ho, der hat ja ein richtiges Bodybuilder-Kreuz. Du träumst also nachts von gut gebauten Männern, die…“
Ist dieser Mike jener Mike, der später in die Hartz-Four-Gruppe einsteigen wird? Nächste Woche geht es weiter...

Mittwoch, 16. Januar 2013

Die Hartz-Four-Truppe entsteht
Was bisher geschah: Sandra und Dietmar sind nach Zehlendorf gefahren, um einem Ein-Euro-Jobber zu helfen, entdecken aber ein anderes Hartz-IV-Opfer...

Das gibt’s doch nicht.“ Dietmar und Sandra standen vor dem S-Bahnhof Nikolassee.
Na siehst du: Es gibt nicht nur in Neukölln hilfsbedürftige Menschen“, triumphierte Sandra.
Auf der anderen Seite des Bahnhofvorplatzes kramte ein Mann im Müll. Er trug einen weißen Anorak, hatte seine angegrauten Haare streng nach hinten gebunden und schleifte einen Einkaufstrolley hinter sich her.
Der weiß halt, dass die Snobs zu bequem sind, ihre Pfandflaschen wieder abzugeben – deswegen fährt der hier raus. Warte du mal hier, ich greif ihm kurz unter die Arme.“

Da ist nix drin“, brüllte Dietmar dem Mann zu.
Der sah verwirrt auf und knipste erschrocken die Taschenlampe aus, mit der er in den Mülleimer geleuchtet hatte.
In der anderen Tonne da drüben allerdings gibt‘s ‘ne PET-Flasche und ‘ne Bierflasche, komm mal mit …“
Wortlos schlurfte der Fremde Dietmar quer über den Platz hinterher und leuchtete dann in den Abfalleimer, den Dietmar ihm gezeigt hatte.
Stimmt,“ grummelte er und fischte eine leere 1,5 Liter Plastikflasche heraus.
Und ganz unten links liegt die Bierflasche, aber darüber …“, Dietmar scannte den Mülleimer erneut, „… tja, da hängen leider Reste von ‘ner Sushi-Platte…“
Kommentarlos langte der Mann in den Behälter.
Noch ein Stück weiter links ...“, dirigierte Dietmar und schon war die Flasche draußen und wurde im Hackenporsche verstaut.
Danke“, murmelte der Hartzie.
Keine Ursache“, antwortete Dietmar und winkte im Weggehen ab.
Hey wart‘ mal, sag mal, kannst du durch den Behälter gucken?“
Dietmar überlegte kurz, ob er lügen sollte, aber wahrscheinlich konnte der Typ mit der Wahrheit eh nicht viel anfangen:
Ja, mit meinem linken Auge kann ich durch Gegenstände sehen.“
Das verhärmte Gesicht und die müden Augen verrieten nicht, was im Kopf des Mannes, den Dietmar auf Anfang fünfzig schätzte, vorging.
Glaub ich nicht …“, antwortete er schließlich.
Ist aber so. Egal, ich geh dann mal … Aber dein T-Shirt solltest du mal wieder waschen, sonst gibt’s Ärger mit Spiderman!“

Der Hartzie zuckte zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen. Er riss den Reißverschluss seines Anoraks auf und starrte auf seine Brust, um zu schauen, welches T-Shirt er heute trug. Dann vergrub er den Kopf in der Jacke und nuschelte darunter hervor: „Da kann man nicht durchgucken … Krass, Alter! … Krass!“
Er schaute Dietmar entgeistert an, seine Lethargie war verschwunden: „Du hast geheime Fähigkeiten …“
Naja, jetzt sind sie ja nicht mehr so geheim …“, erwiderte Dietmar trocken.
Bist du … du bist so ein Zauberer, so ein Magier … Nein, du bist: Ein Superheld!“

Hat Dietmar seinen ersten Fan? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Mittwoch, 9. Januar 2013


Was bisher geschah: Dietmar und Sandra sind auf dem Weg nach Zehlendorf, um dem Ein-Euro-Jobber Mike zu helfen...

Mike Matschke hatte inzwischen das weitläufige Parterre der Villa erreicht, stellte das für Patrizia bestimmte Tablett in der Küche auf die Arbeitsplatte und schaute durch das Terrassenfenster in den Garten. Er hatte viel geschafft in den paar Stunden, Dr. Klausen würde zufrieden sein, wenn er sah, wie ernst er seine Arbeit nahm. Nur das Frühstückstablett hatte er umsonst durch die Gegend geschleppt.
Also, Herr Wendel, bei Problemen melden Sie sich unverzüglich beim Arbeitgeber“, hatte sein Fallmanager vom Jobcenter ihm eingeschärft – wegen der Missverständnisse, wie war das, bei der Kommunion, nee, Kommunikation, ja genau, Missverständnisse müssen kommuniziert werden, oder so …
Mike rief also ein weiteres Mal in der Anwaltskanzlei an und da Herr Klausen auch jetzt für ihn nicht zu sprechen war, hinterließ er bei der Sekretärin die Nachricht, dass er mit dem Zerschneiden der Bäume fertig sei. Nur das Frühstückstablett habe er der Tochter noch nicht bringen können. Im Haus sei niemand.
Das sei Quatsch, meinte Frau Schneider, Patrizia Klausen habe eben angerufen, sie säße sicherlich schon an ihrem Schreibtisch und würde sehnsüchtig auf ihr Frühstück warten, damit sie mit dem Lernen beginnen könne. Wenn er zu faul sei, der jungen Dame das Tablett zu bringen, dann müsse eben ein fleißigerer Arbeitsloser diese Aufgabe übernehmen. Dann erwähnte sie noch, dass die Eberäsche, die Birke und der Kirschbaum sicherlich nicht zer- sondern verschnitten werden sollten. Und außerdem solle er die Kanzlei heute ein für alle Mal in Ruhe lassen – immerhin würde hier noch gearbeitet!

Das gibt’s doch nicht.“ Dietmar und Sandra standen vor dem S-Bahnhof Nikolassee.
Na siehst du: Es gibt nicht nur in Neukölln hilfsbedürftige Menschen“, triumphierte Sandra.
Auf der anderen Seite des Bahnhofvorplatzes kramte ein Mann im Müll...


Arme Menschen im reichen Zehlendorf? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann


Mittwoch, 2. Januar 2013

Los gehts! Schauen wir uns erst einmal an, wie sich die Hartz-Four-Gruppe zusammenrauft:

Eine Legende entsteht: Wie alles begann



Auch wenn es noch recht kühl war, genoss Dietmar die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Er lehnte vor dem Einkaufscenter in der Neuköllner Hermannstrasse an einem Laternenpfahl und wartete auf seine Schwester.
Neukölln kann so entspannend sein!“, dachte er „Von mir aus müssen wir heut nicht unbedingt nach Zehlendorf raus, aber wenn Sandra unbedingt will …“
Vor ein paar Wochen hatte Sandra ihn überredet, die Hartz-Angels zu gründen, eine Organisation, die Hartz-IV-Empfängern helfen sollte. Er vermutete, dass sie so ihr Helfersyndrom in den Griff kriegen wollte – und … naja … Vielleicht war das gar keine so blöde Idee und er konnte ein paar Erwerbslose für seine marxistischen Ideen begeistern …
Heute ging es um einen Typen, den es laut Sandra unwissend in eine Hartzie-feindliche Bonzengegend verschlagen hatte. Und da man den Enthusiasmus junger Leute nicht bremsen sollte, hatte Dietmar in den Trip eingewilligt.
In diesem Moment kam Sandra aus dem Center gestürmt.
Ich habe wieder diese Stimme gehört!“, rief sie mit besorgter Miene, „noch viel deutlicher als beim letzten Mal!“
War das vielleicht die selbe Stimme, die dir heute Nacht eingehaucht hat, dass wir nach Zehlendorf fahren müssen, um einem Hartzie zu helfen? Lass mich raten: Die Stimme hat dir eben geflüstert: „Nö, lasst mal, ihr braucht nicht nach Zehlendorf raus …““
Dietmar, wir fahren!!!“
Ich sag dir: Hier in Neukölln werden wir viel dringender gebraucht.“
Jetzt hör mir mal zu: Die Stimme eben war verdammt real!“
Das ist doch alles Quatsch! Du hörst diesen Mist, weil du ständig zu irgendwelchen Eso-Kursen rennst. Lass gut sein, komm!“
Ach, und was war das letzte Woche mit der Maier aus dem Erdgeschoss?“
Zufall …“, grummelte ihr Bruder, während sie die Treppe zur S-Bahn runter gingen.
Letzten Freitag hatte Sandra ihm am Frühstückstisch von einem Traum erzählt, in dem sich Scharen von losen Blättern eines Hartz-IV-Antrages in eine schwarze Krähe verwandelten und auf eine ältere Frau stürzten. Am Nachmittag hatte dann eine Nachbarin aus dem Erdgeschoss bei ihnen geklingelt: „Herr Röber, Sie kennen sich doch mit diesen Hartz IV–Anträgen aus. Der Krähe, also mein Sachbearbeiter, der meint, ich hätte da was falsch ausgefüllt, und nun …“ und dann war sie in Tränen ausgebrochen und von Sandra notversorgt worden.
Sie stiegen in die S-Bahn.
Na und? Es ist doch schon seltsam, dass du ausgerechnet immer beim Einkaufen über diese Stimmen klagst! Typisch Frau, würde ich mal sagen. Du und dein Psycho-Hallidalli! Es ist doch völlig bescheuert, dass ich mit dir nach Zehlendorf fahre, nur weil du angeblich heute Nacht eine spirituelle Eingebung hattest. Das ist das letzte Mal, verstanden? Das aller, allerletzte Mal!“
Sandra starrte stur aus dem Fenster.
Pass auf: Ich mache dir einen anderen Vorschlag: Ich werde in dieser Woche die RZN gründen, die Rote Zelle Neukölln, eine sozialistische Gruppierung. Wir werden“, dozierte er weiter, „von den späten Schriften Lenins ausgehend, nach Wegen suchen, die kapitalistischen Machtverhältnisse in unserem Stadtteil zu überwinden. Mach doch bei uns mit, vielleicht kann ich dir den interessanten Posten der 2. Vorsitzenden vermitteln, dann kommst du auf andere Gedanken.“
Alles klar, Dietmar, 2. Vorsitzende, super, wirklich eine super Position, wenn dein Verein nur ein Mitglied haben wird: nämlich dich!“, giftete Sandra zurück.
Von da an schaute auch Dietmar beleidigt aus dem Fenster.

Während das Geschwisterpaar schweigend in der S-Bahn saß, beobachtete die vierundzwanzigjährige Studentin Patrizia Klausen aus einer Dachluke, wie ein breitschultriger Mann in Shorts mit einer Kettensäge im Garten ihrer Eltern wütete.
Mit zittrigen Händen zog sie ihr Handy aus der Hosentasche.
Gleich die Polizei? Ach nö, lieber nicht, das gab beim letzten Mal nur Ärger.“
Sie hatte die Polizei wegen eines Pakets geholt, das der Postbote abgegeben hatte. Auf der Verpackung waren arabische Schriftzeichen und es tickte. Später klärte sich dann alles auf: Ihr Vater, Rechtsanwalt Peter Klausen, musste sich mit Gesetzestexten der Scharia auseinander setzen und als Werbegeschenk lag den Büchern eine in Dubai angefertigte altertümliche Armbanduhr bei. Sowohl die Uhr als auch die Bücher hatten die Sprengung des Pakets nicht überstanden. Die Putzfrau fand regelmäßig kleine Papierfetzen, auf denen Sachen standen wie "Allah ist groß" oder "Tod den Ungläubigen".
Nee, lieber Papa anrufen...”
Als sie die Nummer von der Anwaltskanzlei ihres Vaters wählte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie der Unbekannte prüfend am Haus hoch schaute und dann auf den Eingang zusteuerte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, aber der Fremde war weg, er musste im Haus verschwunden sein. Und was noch schlimmer wog: Sie hatte das Gefühl, dass er genau wusste, wo er nach ihr zu suchen hatte ….

Rechtsanwaltskanzlei Klausen & Partner, Schneider am Apparat.“
Hier ist Patrizia, kann ich meinen Vater sprechen?“
Ich verbinde …“, sagte die Rechtsanwaltsgehilfin und Patrizia hörte das übliche Mozartgedudel.
Minuten verstrichen.
Ich hätte doch gleich die Polizei anrufen sollen …“, stammelte sie vor sich hin.
Ein donnerndes Pochen dröhnte gegen die Dachkammertür.
Stille, nur die quäckige Mozart-Sinfonie aus dem Handylautsprecher.

Pock, Pock, Pock“, hallte es wieder, dann sagte eine raue Stimme:
Fräulein Klausen, sind Sie da drin?“
Patrizia, was ist denn los?“, meldete sich fast zeitgleich ihr Vater.
Papa, da ist ein Fremder, ich kann jetzt nicht sprechen …“, flüsterte Patrizia so leise es ging und presste ihre Hand auf den Lautsprecher .
Sie lauschte … Dann hörte sie Schritte auf der Treppe, die langsam leiser wurden.
Dicke Verzweiflungstränen liefen ihr die Wangen hinab.
Papa…?“, schniefte sie ins Handy.
Ja, was ist denn nun los?“
Da ist ein fremder Mann, ich hab mich vor ihm versteckt …“
Ach so … Nein, Patrizia, beruhig dich, der arbeitet in unserem Garten.“
Was? Wie? Der arbeitet hier? Aber … aber von was für einer Firma kommt der denn? Der hat total dreckige Klamotten an und ein großes hässliches Tattoo auf dem Oberarm?“
Der kommt direkt von der Arbeitsagentur.“
Wie jetzt, das ist so ein Ein-Euro-Jobber?“, entgegnete Patrizia entrüstet.
Patrizia, der kümmert sich um den Garten und deine Mutter hat ihm auch noch ein paar Aufgaben im Haus gegeben, ich muss jetzt hier weiter machen …“
Ihr lasst diesen Hartz-IVler ins Haus, während ich hier ganz allein bin? Sag mal …“
Nun reiß dich mal ein bisschen zusammen, junge Dame. Wir haben in den letzten Monaten an der Börse viel Geld verloren. Da müssen wir jetzt alle ein bisschen kürzer treten. Patrizia, hör zu, ich muss jetzt Schluss machen, mein Mandant kommt gleich, tschüss, Patrizia, tschüss!“
Mit diesen Worten legte ihr Vater auf.

Wie entwickelt sich der Konflikt zwischen Patrizia und dem Ein-Euro-Jobber? Schaffen es Sandra und Dietmar rechtzeitig in die Villengegend, um ihm zu helfen? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann


Die Hartz-Four-Crew wünscht allen Lesern ein frohes, neues Jahr!

Wie versprochen gibt es das Hartz-Four-Gründungsabenteuer nochmal zum gemütlichen Nachlesen (immer Mittwochs) und Mitte Januar das erste Mini-Hörspiel...