Hartz Four - eine Superhelden-Kurzgeschichten-Saga


Seit Jahren sind Hartz-IV-Empfänger die Deppen der Nation. Ob in Ein-Euro-Jobs als billige Arbeitskräfte missbraucht oder vom Jobcenter schikaniert – immer müssen Hartzies herhalten. Doch jetzt treten vier Superhelden in Berlin-Neukölln an die Seite der Armen und Entrechteten: Hartz – Four!

Dietmar Röber


Dietmar

Sandra Röber


Mike Matschke


Fred


Der Boss der Truppe verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Das Glasauge, das man ihm dafür einsetzte, befähigt ihn nun durch Gegenstände schauen zu können...Dietmars kleine Schwester ist mit allen esoterischen Wassern gewaschen! Häufig sind es ihre prophetischen Träume, die der Hartz-Four Gruppe zeigen, welche arme Hartz-IV-Seele gerade Hilfe braucht.Seit einem allergischen Anfall verfügt dieser Bodybuilder über enorme physische Kräfte, die er allerdings nicht immer kontrollieren kann.Diesem Vollbluttrinker ist es gelungen seine Alkoholfahne zu domestizieren: Diese kann sich unsichtbar durch Räume bewegen und Stimmen imitieren - Sie ist das heimliche fünfte Mitglied des Hartz Four - Clans...



Freitag, 27. April 2012


Was bisher geschah: Dietmar und Sandra sind auf dem Weg nach Zehlendorf, um dem Ein-Euro-Jobber Mike zu helfen...

Mike Matschke hatte inzwischen das weitläufige Parterre der Villa erreicht, stellte das für Patrizia bestimmte Tablett in der Küche auf die Arbeitsplatte und schaute durch das Terrassenfenster in den Garten. Er hatte viel geschafft in den paar Stunden, Dr. Klausen würde zufrieden sein, wenn er sah, wie ernst er seine Arbeit nahm. Nur das Frühstückstablett hatte er umsonst durch die Gegend geschleppt.
Also, Herr Wendel, bei Problemen melden Sie sich unverzüglich beim Arbeitgeber“, hatte sein Fallmanager vom Jobcenter ihm eingeschärft – wegen der Missverständnisse, wie war das, bei der Kommunion, nee, Kommunikation, ja genau, Missverständnisse müssen kommuniziert werden, oder so …
Mike rief also ein weiteres Mal in der Anwaltskanzlei an und da Herr Klausen auch jetzt für ihn nicht zu sprechen war, hinterließ er bei der Sekretärin die Nachricht, dass er mit dem Zerschneiden der Bäume fertig sei. Nur das Frühstückstablett habe er der Tochter noch nicht bringen können. Im Haus sei niemand.
Das sei Quatsch, meinte Frau Schneider, Patrizia Klausen habe eben angerufen, sie säße sicherlich schon an ihrem Schreibtisch und würde sehnsüchtig auf ihr Frühstück warten, damit sie mit dem Lernen beginnen könne. Wenn er zu faul sei, der jungen Dame das Tablett zu bringen, dann müsse eben ein fleißigerer Arbeitsloser diese Aufgabe übernehmen. Dann erwähnte sie noch, dass die Eberäsche, die Birke und der Kirschbaum sicherlich nicht zer- sondern verschnitten werden sollten. Und außerdem solle er die Kanzlei heute ein für alle Mal in Ruhe lassen – immerhin würde hier noch gearbeitet!

Das gibt’s doch nicht.“ Dietmar und Sandra standen vor dem S-Bahnhof Nikolassee.
Na siehst du: Es gibt nicht nur in Neukölln hilfsbedürftige Menschen“, triumphierte Sandra.
Auf der anderen Seite des Bahnhofvorplatzes kramte ein Mann im Müll...


Arme Menschen im reichen Zehlendorf? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann


Donnerstag, 12. April 2012

Los gehts! Schauen wir uns erst einmal an, wie sich die Hartz-Four-Gruppe zusammenrauft:

Eine Legende entsteht: Wie alles begann



Auch wenn es noch recht kühl war, genoss Dietmar die ersten Sonnenstrahlen des Frühlings. Er lehnte vor dem Einkaufscenter in der Neuköllner Hermannstrasse an einem Laternenpfahl und wartete auf seine Schwester.
Neukölln kann so entspannend sein!“, dachte er „Von mir aus müssen wir heut nicht unbedingt nach Zehlendorf raus, aber wenn Sandra unbedingt will …“
Vor ein paar Wochen hatte Sandra ihn überredet, die Hartz-Angels zu gründen, eine Organisation, die Hartz-IV-Empfängern helfen sollte. Er vermutete, dass sie so ihr Helfersyndrom in den Griff kriegen wollte – und … naja … Vielleicht war das gar keine so blöde Idee und er konnte ein paar Erwerbslose für seine marxistischen Ideen begeistern …
Heute ging es um einen Typen, den es laut Sandra unwissend in eine Hartzie-feindliche Bonzengegend verschlagen hatte. Und da man den Enthusiasmus junger Leute nicht bremsen sollte, hatte Dietmar in den Trip eingewilligt.
In diesem Moment kam Sandra aus dem Center gestürmt.
Ich habe wieder diese Stimme gehört!“, rief sie mit besorgter Miene, „noch viel deutlicher als beim letzten Mal!“
War das vielleicht die selbe Stimme, die dir heute Nacht eingehaucht hat, dass wir nach Zehlendorf fahren müssen, um einem Hartzie zu helfen? Lass mich raten: Die Stimme hat dir eben geflüstert: „Nö, lasst mal, ihr braucht nicht nach Zehlendorf raus …““
Dietmar, wir fahren!!!“
Ich sag dir: Hier in Neukölln werden wir viel dringender gebraucht.“
Jetzt hör mir mal zu: Die Stimme eben war verdammt real!“
Das ist doch alles Quatsch! Du hörst diesen Mist, weil du ständig zu irgendwelchen Eso-Kursen rennst. Lass gut sein, komm!“
Ach, und was war das letzte Woche mit der Maier aus dem Erdgeschoss?“
Zufall …“, grummelte ihr Bruder, während sie die Treppe zur S-Bahn runter gingen.
Letzten Freitag hatte Sandra ihm am Frühstückstisch von einem Traum erzählt, in dem sich Scharen von losen Blättern eines Hartz-IV-Antrages in eine schwarze Krähe verwandelten und auf eine ältere Frau stürzten. Am Nachmittag hatte dann eine Nachbarin aus dem Erdgeschoss bei ihnen geklingelt: „Herr Röber, Sie kennen sich doch mit diesen Hartz IV–Anträgen aus. Der Krähe, also mein Sachbearbeiter, der meint, ich hätte da was falsch ausgefüllt, und nun …“ und dann war sie in Tränen ausgebrochen und von Sandra notversorgt worden.
Sie stiegen in die S-Bahn.
Na und? Es ist doch schon seltsam, dass du ausgerechnet immer beim Einkaufen über diese Stimmen klagst! Typisch Frau, würde ich mal sagen. Du und dein Psycho-Hallidalli! Es ist doch völlig bescheuert, dass ich mit dir nach Zehlendorf fahre, nur weil du angeblich heute Nacht eine spirituelle Eingebung hattest. Das ist das letzte Mal, verstanden? Das aller, allerletzte Mal!“
Sandra starrte stur aus dem Fenster.
Pass auf: Ich mache dir einen anderen Vorschlag: Ich werde in dieser Woche die RZN gründen, die Rote Zelle Neukölln, eine sozialistische Gruppierung. Wir werden“, dozierte er weiter, „von den späten Schriften Lenins ausgehend, nach Wegen suchen, die kapitalistischen Machtverhältnisse in unserem Stadtteil zu überwinden. Mach doch bei uns mit, vielleicht kann ich dir den interessanten Posten der 2. Vorsitzenden vermitteln, dann kommst du auf andere Gedanken.“
Alles klar, Dietmar, 2. Vorsitzende, super, wirklich eine super Position, wenn dein Verein nur ein Mitglied haben wird: nämlich dich!“, giftete Sandra zurück.
Von da an schaute auch Dietmar beleidigt aus dem Fenster.

Während das Geschwisterpaar schweigend in der S-Bahn saß, beobachtete die vierundzwanzigjährige Studentin Patrizia Klausen aus einer Dachluke, wie ein breitschultriger Mann in Shorts mit einer Kettensäge im Garten ihrer Eltern wütete.
Mit zittrigen Händen zog sie ihr Handy aus der Hosentasche.
Gleich die Polizei? Ach nö, lieber nicht, das gab beim letzten Mal nur Ärger.“
Sie hatte die Polizei wegen eines Pakets geholt, das der Postbote abgegeben hatte. Auf der Verpackung waren arabische Schriftzeichen und es tickte. Später klärte sich dann alles auf: Ihr Vater, Rechtsanwalt Peter Klausen, musste sich mit Gesetzestexten der Scharia auseinander setzen und als Werbegeschenk lag den Büchern eine in Dubai angefertigte altertümliche Armbanduhr bei. Sowohl die Uhr als auch die Bücher hatten die Sprengung des Pakets nicht überstanden. Die Putzfrau fand regelmäßig kleine Papierfetzen, auf denen Sachen standen wie "Allah ist groß" oder "Tod den Ungläubigen".
Nee, lieber Papa anrufen...”
Als sie die Nummer von der Anwaltskanzlei ihres Vaters wählte, sah sie aus dem Augenwinkel, wie der Unbekannte prüfend am Haus hoch schaute und dann auf den Eingang zusteuerte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, aber der Fremde war weg, er musste im Haus verschwunden sein. Und was noch schlimmer wog: Sie hatte das Gefühl, dass er genau wusste, wo er nach ihr zu suchen hatte ….

Rechtsanwaltskanzlei Klausen & Partner, Schneider am Apparat.“
Hier ist Patrizia, kann ich meinen Vater sprechen?“
Ich verbinde …“, sagte die Rechtsanwaltsgehilfin und Patrizia hörte das übliche Mozartgedudel.
Minuten verstrichen.
Ich hätte doch gleich die Polizei anrufen sollen …“, stammelte sie vor sich hin.
Ein donnerndes Pochen dröhnte gegen die Dachkammertür.
Stille, nur die quäckige Mozart-Sinfonie aus dem Handylautsprecher.

Pock, Pock, Pock“, hallte es wieder, dann sagte eine raue Stimme:
Fräulein Klausen, sind Sie da drin?“
Patrizia, was ist denn los?“, meldete sich fast zeitgleich ihr Vater.
Papa, da ist ein Fremder, ich kann jetzt nicht sprechen …“, flüsterte Patrizia so leise es ging und presste ihre Hand auf den Lautsprecher .
Sie lauschte … Dann hörte sie Schritte auf der Treppe, die langsam leiser wurden.
Dicke Verzweiflungstränen liefen ihr die Wangen hinab.
Papa…?“, schniefte sie ins Handy.
Ja, was ist denn nun los?“
Da ist ein fremder Mann, ich hab mich vor ihm versteckt …“
Ach so … Nein, Patrizia, beruhig dich, der arbeitet in unserem Garten.“
Was? Wie? Der arbeitet hier? Aber … aber von was für einer Firma kommt der denn? Der hat total dreckige Klamotten an und ein großes hässliches Tattoo auf dem Oberarm?“
Der kommt direkt von der Arbeitsagentur.“
Wie jetzt, das ist so ein Ein-Euro-Jobber?“, entgegnete Patrizia entrüstet.
Patrizia, der kümmert sich um den Garten und deine Mutter hat ihm auch noch ein paar Aufgaben im Haus gegeben, ich muss jetzt hier weiter machen …“
Ihr lasst diesen Hartz-IVler ins Haus, während ich hier ganz allein bin? Sag mal …“
Nun reiß dich mal ein bisschen zusammen, junge Dame. Wir haben in den letzten Monaten an der Börse viel Geld verloren. Da müssen wir jetzt alle ein bisschen kürzer treten. Patrizia, hör zu, ich muss jetzt Schluss machen, mein Mandant kommt gleich, tschüss, Patrizia, tschüss!“
Mit diesen Worten legte ihr Vater auf.

Wie entwickelt sich der Konflikt zwischen Patrizia und dem Ein-Euro-Jobber? Schaffen es Sandra und Dietmar rechtzeitig in die Villengegend, um ihm zu helfen? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann