Hartz Four - eine Superhelden-Kurzgeschichten-Saga


Seit Jahren sind Hartz-IV-Empfänger die Deppen der Nation. Ob in Ein-Euro-Jobs als billige Arbeitskräfte missbraucht oder vom Jobcenter schikaniert – immer müssen Hartzies herhalten. Doch jetzt treten vier Superhelden in Berlin-Neukölln an die Seite der Armen und Entrechteten: Hartz – Four!

Dietmar Röber


Dietmar

Sandra Röber


Mike Matschke


Fred


Der Boss der Truppe verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Das Glasauge, das man ihm dafür einsetzte, befähigt ihn nun durch Gegenstände schauen zu können...Dietmars kleine Schwester ist mit allen esoterischen Wassern gewaschen! Häufig sind es ihre prophetischen Träume, die der Hartz-Four Gruppe zeigen, welche arme Hartz-IV-Seele gerade Hilfe braucht.Seit einem allergischen Anfall verfügt dieser Bodybuilder über enorme physische Kräfte, die er allerdings nicht immer kontrollieren kann.Diesem Vollbluttrinker ist es gelungen seine Alkoholfahne zu domestizieren: Diese kann sich unsichtbar durch Räume bewegen und Stimmen imitieren - Sie ist das heimliche fünfte Mitglied des Hartz Four - Clans...



Freitag, 3. Januar 2014


Off-Topic: Bevor es mit neuem Hartz-Four-Material weiter geht, hier eine andere Hartz-IV Geschichte:  


Hartz IV in Mecklenburg-Vorpommern



Seit geschlagenen anderthalb Stunden saß Bernd Gölke im Jobcenter in Anklam und wartete darauf, dass ihn sein Fallmanager aufruft. Es war kurz vor 22 Uhr – morgen muss er auf Grund seiner Maßnahme früh raus - trotzdem hatte er ein gutes Gefühl. Der 46igjährige gelernte Elektriker gähnte nochmal und zog das Anschreiben aus der Innentasche seiner Jacke. Nee, es stimmte alles: Das Datum sowie die Uhrzeit waren auf 20:30h angesetzt. Vor einem Dreiviertel Jahr befand er sich einmal in einer ähnlichen Situation und ist nach 40 Minuten einfach gegangen. Herr Beseke, sein damals noch neuer Berater, erklärte ihm später, dass das Warten eine disziplinarische Mittel gewesen sei, und sanktionierte ihn wegen angeblichen Nichterscheinens. Endlich ging die Tür auf und der junge Mitarbeiter des Jobcenters sagte: „So kommen sie rein ...“ Gölke betrat das Zimmer und setzte sich dem Angestellten gegenüber an den Tisch. Das Verhältnis der beiden war kein Gutes: Martin Beseke war ein, ehrgeiziger Fallmanager, der ursprünglich aus Hannover kam, studiert hatte, unter anderem in den USA, um hinterher eine Stelle in diesem Jobcenter in Mecklenburg-Vorpommern anzutreten. Dass er sich den Ostdeutschen Eingeborenen überlegen vorkam, machte ihn bei seinen Kunden nicht grade beliebt.

Und, wie läuft ihre Maßnahme?“, wollte Herr Beseke von Gölke nicht wirklich wissen. Diese sei zufriedenstellend, grummelte der Langzeitarbeitslose und musste daran denken, dass er am nächsten Tag um sechs aufstehen muss. Es handelt sich bei seinem Ein-Euro-Job um eine Kooperation des Jobcenters Anklam mit der mit EU-Geldern geförderten Initiative „Werd Schülerlotse – dein Weg in die Beschäftigung“. Für dieses Pilotprojekt wurde das von seinem Wohnort 15 Kilometer entfernte Dorf Mönkebude ausgewählt, um den dortigen Schüler Sicherheit auf den Schulweg zu gewährleisten. Jeden Morgen fallen in diesem Ort die zahlreichen Hartz-IV-Empfänger der Umgebung ein, um als Schülerlotsen die Kinder sicher von einer Straßenseite zur gegenüberliegenden zu leiten. Gölke war für einen schmalen, unbefahrenen Feldweg zuständig, über den er morgens zwei Grundschulkinder hin und gegen 13 Uhr zurück lotste. Von Montag bis Freitag steht er auf diesem Trampelpfad mit seiner Leuchtweste. Schon unzählige Male hatte er von dort aus gesehen, wie der Nebel in den frühen Morgenstunden über dem Stettiner Haff schwebte und langsam von den Sonnenstrahlen verdrängt wurde. Wenn das Wasser zu funkeln beginnt, setzten seine chronischen Hüftschmerzen ein, aber hinsetzten, darf er sich nicht, ein Kind könne ja früher zurückkommen. Im Februar hat er eine weitere Sanktion bekommen, weil herauskam, dass er einen Schneemann gebaut hatte. Einmal kam eine alte Frau zu ihm und zeigte ihm ein Foto, auf dem er sehen konnte, wann dieser Weg das letzte Mal befahren wurde: Man sah ein mit Menschen beladenes Pferdefuhrwerk und auf der Rückseite des Bildes stand: „Ostpreußen auf der Flucht vor dem Russen.“



Sie fragen sich wahrscheinlich, warum ich sie heute so spät eingeladen habe?“, begann Beseke jetzt das Beratungsgespräch. „Ja, das bedeutet, für mich Überstunden“ ergänzte er und steckte unauffällig seine handliche Playstation Vita in eine Schublade des Schreibtisches. „Nun, The early bird catches the worm. Bisher ging es mir darum, Sie früh aufstehen zu lassen - doch das wird sich bei Ihnen Sie möglicherweise ändern ...“ Der Fallmanager stand genüsslich auf, schritt bedeutungsvoll zum Fenster und schaute in die Dunkelheit. „Eventuell habe ich nämlich eine Vollzeitstelle für Sie ...“, hauchte er fast geheimnisvoll gegen die Fensterscheibe und sah in der Reflexion, wie sein Kunde ungläubig die rechte Augenbraue hob. „Ganz ruhig, Gölke, ganz ruhig ...“ Er drehte sich um und glotzte den HartzIV-Empfänger scharf an. „Dass wir uns hier verstehen: Das, was ich ihnen jetzt erzähle, ist topsecret, verstanden?“ Gölke nickte kurz. „Nun, die Tante meiner Frau sitzt ja im Gemeinderat von Ribnitz Damgarten und dort wird beraten, inwieweit man mit Subventionen in das amerikanische Investment-Projekt „Coastgold“ einsteigt. Diese Investment-Group hat weltweit „Entertainment und Recreation“- Parks aufgebaut und überlegt nun folgendes Projekt zu launchen“

Er wendete sich zur Fensterscheibe, hauchte gegen diese, so dass sein Atem an dem Glas kondensierte, und machte mit seinem Zeigefinger einen Punkt. Der arbeitslose Elektriker fragte sich, wie häufig sein Fallmanager für dieses Schauspiel geprobt haben mochte. „Ribnitz Damgarten, an der Küste: Aquarium“. Er machte einen zweiten Punkt, etwas weiter unten „Das Kaff Marlow, Musical-Theater und ...“ er tappte ein drittes Mal auf die Scheibe „Achtung Gölke, hier wird’s für Sie interessant: Poppendorf, ein Multiplex-Kino. Drei superstarke Event-Konzeptionen! Das Gesamtprojekt heißt, na ...“ Er schaute seinen Kunden scharf an, um dann mit seinem Zeigefinger alle Punkte miteinander zu verbinden: „Entertainment-Triangel – Unterhaltungs-Dreieck, hört sich auf Deutsch ein bisschen sperrig an. So, Poppendorf, da wo das Multiplex hin soll, ist ja nur hundert Kilometer von ihrem Wohnort entfernt, und da ich in Ihrer Datei gelesen habe, dass sie Elektriker gelernt haben – ich wusste gar nicht, dass es in der DDR schon Strom gab – aber gut, das könnte Ihnen hier vielleicht helfen. Denn: Was braucht man in einem solchen Kino? Na, einen Facility Manager – Moment, ich übersetzt kurz mal ins DDR-Deutsch: einen Hausmeister. Früher Elektriker, heute Hausmeister - na, wie wäre das?“

Gölke hätte vor Freude in die Luft springen können, doch er wollte nicht aus der Rolle des faulen Ossis fallen. Deswegen grummelte er in seinem norddeutschen Akzent, dass es in Stralsund bereits das Ozeanum gebe und das in Waren kürzlich ein Multiplex zugemacht habe.

Hey Gölke, die Sache ist natürlich noch nicht save, aber: Think positiv! Und seien Sie flexible. Kinovorstellungen: Die fangen nachmittags an und gehen teilweise bis tief in Nacht. Und da ist ein Facility-Manager schon gefordert. Das heißt, wir reden nicht von so einem ordinären „Nine to Five“ Job, sondern hier werden Leute gebraucht, die nachts fit sind. Wir wissen nicht, ob dieses Konsortium sich für dieses Projekt entscheidet. Ich habe jedoch entschieden, dass wir volles Risiko fahren. Deswegen hab ich folgende Roadmap arrangiert: a) Ich nehme Sie aus der Schülerlotsenmaßnahme, b) wir konditionieren Ihren Daily-Life-Rhythmus um: Sie werden ein Spätschichtmensch, wie wir das anstellen, erläutere ich gleich, und c) Sie probieren mit einer straighten Initiativ-Bewerbung ihre potenziellen Mitkonkurrenten auszustechen. Also, ab heute schlafen Sie wieder aus: Egal was die Nachbarn da vielleicht denken – Sie und ich, wir wissen, dass Sie das für die kommende Arbeitsstelle vorbereitet. Für nachts habe ich Ihnen ein Fernsehprogramm zusammengestellt ...“ er schob seinem Kunden kopierte Blätter einer „TV-Spielfilm“ rüber. „Markierten Sendungen anschauen und einen Bericht schreiben, damit ich sehe, dass sie nicht zu früh ins Bett gegangen sind. Haben wir uns verstanden?“ Gölke nickte brummend. „Schön, dann hoffe ich, dass Sie diese Opportunity nutzen!“



Fünfzehn Minuten später saß Gölke auf seinem Fahrrad und tippte mit der rechten Hand eine SMS an seinen Kumpel Boris. Ihr Plan sei aufgegangen, lautete die simple Botschaft. Boris war auch Kunde von Herrn Beseke und arbeitete als Schülerlotse in Mönkebude. Auf den vielen gemeinsamen Rückfahrten stellten die beiden Ein-Euro-Jobber fest, dass diese Maßnahme für sie wie ein offener Strafvollzug sei. Vor drei Monaten erfuhr Boris, dass der Mann seiner Nichte der Enkel einer Lokalpolitikerin aus Ribnitz-Damgarten ist. Das war kein Zufall, ist doch in den entvölkerten Landstrichen Vorpommerns jeder mit jedem irgendwie verwand. Die zwei Arbeitslosen setzten sich ein Wochenende hin und schrieben zusammen Projekt-Exposees einer fiktiven amerikanischen Investmentgruppe und formulierten Anforderungsprofile für potenzielle Arbeitnehmer, wobei wichtig war, dass hier ausschließlich Spätschichtarbeiter gesucht werden, damit sie aus diesem Schülerlotsenprogramm raus kommen. Alle Unterlagen würzten sie mir vielen englischen Business-Begriffen. Endlich konnten sie die Kenntnisse anwenden, die sie sich in ihren unzähligen Bewerbungstrainings angeeignet hatten.

Die entfernte Verwandte leitete die Dokumente gerne an den Mann ihrer Nichte weiter, war das arrogante Verhalten dieses Schnösels auch für sie untragbar.

Sein Handy brummte: Boris hatte ebenso gute Nachrichten. Für ihn probiert der enthusiastische Beseke sogar einen Tauchkurs, auf Kosten des Jobcenters, zu finanzieren. Der Fallmanager sieht Boris bereits mit den Delphinen im Damgartener Aquarium tauchen, während dieser sich bescheiden auf den Schnorchel-Kurs im Stettiner Haff freut.

Jetzt gilt es diese Luftschlösser zwei bis drei Jahre aufrecht zu halten und aufzupassen, dass sie nicht Realität werden: In Arbeitslosenkreisen munkelt man, dass sowohl Stuttgart 21 als auch der Berliner Flughafen ursprünglich Geisterprojekte von Arbeitslosen waren, bis die Papiere in die Hände von manischen Politikern gelangt sind ... 

(c) Georg Weisfeld