Die
Hartz-Four Truppe entsteht
Was
bisher geschah: Dietmar und Sandra sitzen auf einer Parkbank direkt
unter Mikes Krankenzimmer. Mike hat derweil Post von seinem
ehemaligen Arbeitgeber, einem Zehlendorfer Anwalt, bekommen...
Mühsam
setzte Mike seinen massigen Körper in Bewegung und griff nach dem
Brief seines Arbeitgebers.
„Herr
Klausen will mir bestimmt gute Besserung wünschen“,
dachte
er sich, riss mit seinen klobigen Pranken das Briefcouvert auf und
begann zu lesen:
„Sehr
geehrter Herr Matschke,
mit
Bedauern mussten meine Frau und ich feststellen, dass das Ihnen von
uns entgegengebrachtes Vertrauen auf schändliche Art und Weise
missbraucht wurde. Meine Frau hat Ihnen eindringlich erläutert, wie
labil unsere Tochter Patrizia im Moment ist, da sie grade die
Prüfungen ihres „International Management and Economic“
Master Studiengangs absolviert.
Doch anstatt Ihrer Aufgabe gerecht zu werden, sperren Sie unsere
Tochter auf den Dachboden, um die Lebensmittel zu verkonsumieren, die
für sie gedacht waren.
Wie
Sie sich vorstellen können, wird Ihr Verhalten ein juristisches
Nachspiel haben: Ich habe heute Morgen bei der Staatsanwaltschaft
Strafanzeige wegen Nötigung gegen Sie gestellt. Weiter fordern wir
Sie auf, die durch Ihr Verschulden verursachten Kosten, siehe Liste,
innerhalb von 14 Tagen zu begleichen und auf das unten stehende Konto
zu überweisen.
- Lebensmittel 13,48 €
- Verätzter Mahagoniboden 12.220,00 €
- 3 Bäume (Kirsche, Birke, Eberäsche) 3.578,00 €
- Schmerzensgeldforderung 3.000,00 €
Gesamtsumme:
18.798,00 €
Sollte
die Gesamtsumme nicht fristgerecht auf unserem Konto eingehen, sehen
wir uns gezwungen, zivilrechtliche Schritte gegen Sie einzuleiten.
Mit
freundlichen Grüssen
Dr.
jur. Klausen
P.S.:
Damit wir uns nicht missverstehen: Wir sind keine geizigen Menschen:
Sie hätten sich gerne eine Banane aus der Obstschale nehmen können
– dass das hier noch mal ganz klar kommuniziert ist.“
„Nee,
keine Chance - das kann ich nicht entziffern, das ist zu weit weg!“,
stellte Dietmar grade enttäuscht fest, als die beiden ein
unmenschliches Röhren hörten, das aus dem Krankenhaus dumpf in den
Park hinaus schallte. Es folgte ein zweiter, etwas schrillerer
Schrei. Dietmar sprang auf und stammelte ehrfurchtsvoll: „Ist das
der Mike?“.
Sie
vernahmen ein Stampfen, dann barsten die Fensterscheiben von Mikes
Krankenzimmer und ein Krankenbett flog in den Park.
Die
beiden Geschwister duckten sich hinter die Bank und starrten
fassungslos nach oben, wo eine kreischende Frauenstimme zu hören
war. Kurz darauf knallte eine dicke Krankenschwester unsanft auf die
demolierte Pritsche.
Und
dann geschah etwas, was selbst den abgebrühten Dietmar Röber zur
Salzsäule erstarren ließ: Eine riesige Gestalt schoss aus der
ersten Stock des Krankenhauses und landete mit einem dumpfen Dröhnen
direkt vor ihnen auf dem Rasen. Der massige, vor Muskelbergen
überquellende Körper hatte nur noch entfernt menschliche Konturen,
aus dem Kopf starrten zwei überproportionale Glupschaugen und in dem
gigantischen Mund prangte ein furchterregendes Gebiss.
Ohne
sie auch nur wahr zu nehmen sprang der Koloss mit einem riesigen Satz
über die Bank und sprintete in Richtung Wald.
Das
Beben nahm kontinuierlich ab und schon nach wenigen Sekunden war das
Wesen in der anbrechenden Dämmerung zwischen den Bäumen nicht mehr
auszumachen. Dietmars Glasauge lokalisierte Mike allerdings sofort:
Der Riese riss im Dickicht Bäume aus und pfefferte sie wild durch
die Gegend.
„Oh
Gott, er verschneidet wieder Pflanzen!“, murmelte Dietmar, während
er beobachtete, wie der Koloss langsam an Tempo und Größe verlor.
„Es
ist tatsächlich Mike!“
Für
ein paar Sekunden hockten sie regungslos hinter der Bank. Aus der
Ferne erklang Sirenengeheul.
„Komm!“,
forderte Sandra Dietmar schließlich auf, „wir gehen hin.“
„Du
musst lebensmüde sei“, flüsterte er, schlich ihr aber ohne
weiteren Widerstand hinterher.
Behutsam
näherten sie sich ihrem Schützling bis auf etwa zwanzig Meter. Mike
hatten sie noch nicht bemerkt. Er ließ den Kopf hängen und war
offensichtlich dabei zu ergründen, was da gerade mit ihm passiert
war.
„Hallo?“,
sagte Sandra vorsichtig, aber bestimmt.
Mike
schoss herum, „Äh, ja, ehm, hallo …Äh, das hier mit den Bäumen,
dass war ich nicht, das mit den Bäu … Oh Scheiße …!“ Er
bemerkte, dass er komplett nackt war und versuchte, sein Gemächt mit
den Händen zu bedecken.
„Du
musst dich nicht rechtfertigen! Wir, also der Dietmar und ich, ich
bin die Sandra, wir haben Verständnis für deine Situation, wir sind
die Hartz-Angels, wir setzen uns für Hartz-IV-Empfänger ein. Und du
musst dich auch deiner Nacktheit nicht schämen: Du stehst hier vor
uns, wie unsere große Schöpferin uns alle auf die Erde gesandt hat.
“
„Also
so
bin ich
nicht auf die Welt gekommen!“,
warf Dietmar ein.
„Halt
den Mund!“
„ –
Es ist ähm ... Wenn du
dich nicht von den konventionellen sexuellen Tabus löst, baust du
unnötige Energieblockaden auf!“
„Ich
fände es ganz gut wenn er seine Energie ein wenig blockieren würde
...“
„Schnauze,
Dietmar! – Mike, entspann dich...“
Das
einfühlsame Wesen Sandras und ihre warmen Schwingungen ließen Mikes
naives Wesen sofort Vertrauen gewinnen und er berichtete freigiebig
von der ungerechten Behandlung durch seinen Arbeitgeber. Immer wieder
versuchte er seinen Penis zu verdecken, aber wenn er seine durch den
Bizeps sowieso verkürzten Arme strecken wollte, schwoll seine Brust
an und drückte die Arme nach außen. Schließlich beugte er sich und
klemmte sein kleines Bodybuildergemächt zwischen die muskulösen
Beine.
„18.000
Euro …“, erwähnte Dietmar beiläufig, nachdem er Mikes
Verrenkungen eingehend studiert hatte, „und wenn ich mir dein
Krankenzimmer so vorstelle, kommt da bestimmt noch mal das Dreifache
drauf …“
„Dietmar,
sein still!“, fauchte ihn Sandra an, doch es war schon zu spät:
Mike begann sich unter entsetzlichem Stöhnen erneut zu
transformieren: Beine und Arme dehnten sich aus und aus dem
Oberkörper beulten sich Muskelmassen nach vorn …
Sandra
und Dietmar sprangen entsetzt ein Stück zurück.
„Mike,
entspann dich …Tief atmen, ganz tief atmen!“, brüllte Sandra,
aber Mike wuchs weiter.
„Jetzt
hilft nur noch Super-Power-Reiki“, murmelte sie, begann Formeln zu
flüstern und spürte wie ihre weiße Energie auf Mikes Furor-Energie
traf. Innerhalb von Sekunden hatte sie Mikes Herz erreicht und er
begann erneut zu schrumpfen …
Doch
offensichtlich waren die ständigen Transformationen für Mikes
Organismus nun endgültig zu viel. Als er wieder Normalgröße
erreicht hatte, kippte er bewusstlos zur Seite.
Da
Feuerwehr und Polizei immer deutlicher vernehmbar wurden, entschied
Sandra spontan: „Komm, wir nehmen ihn erst mal mit zu uns – die
Bullen werden die riesigen Fußabdrücke entdecken und ihn hier
finden!“
„Ich
will ja nichts sagen, aber dir ist schon bewusst, dass unser Freund
unsere Wohnung in eine Ruine verwandeln wird, sobald er sich
aufplustert?“
„Du
musst dein loses Mundwerk halten, dann wird Mike auch ruhig bleiben …
Wir haben ein ganz anderes Problem: Er ist nackt! Wird ziemlich
schwierig, mit ihm U-Bahn zu fahren.“
„Am
U-Bahnhof ist eine Altkleidersammlung, da ziehen wir ein paar
Designerklamotten raus – schließlich sind wir hier in Zehlendorf!“
„Okay,
und bis dahin darfst du ihn tragen, du bist schließlich hier der
Elitesoldat!“
Stöhnend
hievte sich Dietmar das Muskelpaket Mike auf die Schultern und sie
machten sich auf den Weg in ihre Neuköllner Wohnung.
Am
nächsten Mittwoch geht es weiter...
©
Georg Weisfeld c/o Agentur
Literatur Hebel & Bindermann
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