Hartz Four - eine Superhelden-Kurzgeschichten-Saga


Seit Jahren sind Hartz-IV-Empfänger die Deppen der Nation. Ob in Ein-Euro-Jobs als billige Arbeitskräfte missbraucht oder vom Jobcenter schikaniert – immer müssen Hartzies herhalten. Doch jetzt treten vier Superhelden in Berlin-Neukölln an die Seite der Armen und Entrechteten: Hartz – Four!

Dietmar Röber


Dietmar

Sandra Röber


Mike Matschke


Fred


Der Boss der Truppe verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Das Glasauge, das man ihm dafür einsetzte, befähigt ihn nun durch Gegenstände schauen zu können...Dietmars kleine Schwester ist mit allen esoterischen Wassern gewaschen! Häufig sind es ihre prophetischen Träume, die der Hartz-Four Gruppe zeigen, welche arme Hartz-IV-Seele gerade Hilfe braucht.Seit einem allergischen Anfall verfügt dieser Bodybuilder über enorme physische Kräfte, die er allerdings nicht immer kontrollieren kann.Diesem Vollbluttrinker ist es gelungen seine Alkoholfahne zu domestizieren: Diese kann sich unsichtbar durch Räume bewegen und Stimmen imitieren - Sie ist das heimliche fünfte Mitglied des Hartz Four - Clans...



Dienstag, 20. November 2012

Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Dietmar und Sandra sitzen auf einer Parkbank direkt unter Mikes Krankenzimmer. Mike hat derweil Post von seinem ehemaligen Arbeitgeber, einem Zehlendorfer Anwalt, bekommen...

Mühsam setzte Mike seinen massigen Körper in Bewegung und griff nach dem Brief seines Arbeitgebers.
Herr Klausen will mir bestimmt gute Besserung wünschen“, dachte er sich, riss mit seinen klobigen Pranken das Briefcouvert auf und begann zu lesen:

Sehr geehrter Herr Matschke,
mit Bedauern mussten meine Frau und ich feststellen, dass das Ihnen von uns entgegengebrachtes Vertrauen auf schändliche Art und Weise missbraucht wurde. Meine Frau hat Ihnen eindringlich erläutert, wie labil unsere Tochter Patrizia im Moment ist, da sie grade die Prüfungen ihres „International Management and Economic“ Master Studiengangs absolviert. Doch anstatt Ihrer Aufgabe gerecht zu werden, sperren Sie unsere Tochter auf den Dachboden, um die Lebensmittel zu verkonsumieren, die für sie gedacht waren.
Wie Sie sich vorstellen können, wird Ihr Verhalten ein juristisches Nachspiel haben: Ich habe heute Morgen bei der Staatsanwaltschaft Strafanzeige wegen Nötigung gegen Sie gestellt. Weiter fordern wir Sie auf, die durch Ihr Verschulden verursachten Kosten, siehe Liste, innerhalb von 14 Tagen zu begleichen und auf das unten stehende Konto zu überweisen.

  1. Lebensmittel 13,48 €
  2. Verätzter Mahagoniboden 12.220,00 €
  3. 3 Bäume (Kirsche, Birke, Eberäsche) 3.578,00 €
  4. Schmerzensgeldforderung 3.000,00 €
Gesamtsumme: 18.798,00 €

Sollte die Gesamtsumme nicht fristgerecht auf unserem Konto eingehen, sehen wir uns gezwungen, zivilrechtliche Schritte gegen Sie einzuleiten.
Mit freundlichen Grüssen

Dr. jur. Klausen

P.S.: Damit wir uns nicht missverstehen: Wir sind keine geizigen Menschen: Sie hätten sich gerne eine Banane aus der Obstschale nehmen können – dass das hier noch mal ganz klar kommuniziert ist.“

Nee, keine Chance - das kann ich nicht entziffern, das ist zu weit weg!“, stellte Dietmar grade enttäuscht fest, als die beiden ein unmenschliches Röhren hörten, das aus dem Krankenhaus dumpf in den Park hinaus schallte. Es folgte ein zweiter, etwas schrillerer Schrei. Dietmar sprang auf und stammelte ehrfurchtsvoll: „Ist das der Mike?“.
Sie vernahmen ein Stampfen, dann barsten die Fensterscheiben von Mikes Krankenzimmer und ein Krankenbett flog in den Park.
Die beiden Geschwister duckten sich hinter die Bank und starrten fassungslos nach oben, wo eine kreischende Frauenstimme zu hören war. Kurz darauf knallte eine dicke Krankenschwester unsanft auf die demolierte Pritsche.
Und dann geschah etwas, was selbst den abgebrühten Dietmar Röber zur Salzsäule erstarren ließ: Eine riesige Gestalt schoss aus der ersten Stock des Krankenhauses und landete mit einem dumpfen Dröhnen direkt vor ihnen auf dem Rasen. Der massige, vor Muskelbergen überquellende Körper hatte nur noch entfernt menschliche Konturen, aus dem Kopf starrten zwei überproportionale Glupschaugen und in dem gigantischen Mund prangte ein furchterregendes Gebiss.
Ohne sie auch nur wahr zu nehmen sprang der Koloss mit einem riesigen Satz über die Bank und sprintete in Richtung Wald.
Das Beben nahm kontinuierlich ab und schon nach wenigen Sekunden war das Wesen in der anbrechenden Dämmerung zwischen den Bäumen nicht mehr auszumachen. Dietmars Glasauge lokalisierte Mike allerdings sofort: Der Riese riss im Dickicht Bäume aus und pfefferte sie wild durch die Gegend.
Oh Gott, er verschneidet wieder Pflanzen!“, murmelte Dietmar, während er beobachtete, wie der Koloss langsam an Tempo und Größe verlor.
Es ist tatsächlich Mike!“
Für ein paar Sekunden hockten sie regungslos hinter der Bank. Aus der Ferne erklang Sirenengeheul.

Komm!“, forderte Sandra Dietmar schließlich auf, „wir gehen hin.“
Du musst lebensmüde sei“, flüsterte er, schlich ihr aber ohne weiteren Widerstand hinterher.
Behutsam näherten sie sich ihrem Schützling bis auf etwa zwanzig Meter. Mike hatten sie noch nicht bemerkt. Er ließ den Kopf hängen und war offensichtlich dabei zu ergründen, was da gerade mit ihm passiert war.
Hallo?“, sagte Sandra vorsichtig, aber bestimmt.
Mike schoss herum, „Äh, ja, ehm, hallo …Äh, das hier mit den Bäumen, dass war ich nicht, das mit den Bäu … Oh Scheiße …!“ Er bemerkte, dass er komplett nackt war und versuchte, sein Gemächt mit den Händen zu bedecken.
Du musst dich nicht rechtfertigen! Wir, also der Dietmar und ich, ich bin die Sandra, wir haben Verständnis für deine Situation, wir sind die Hartz-Angels, wir setzen uns für Hartz-IV-Empfänger ein. Und du musst dich auch deiner Nacktheit nicht schämen: Du stehst hier vor uns, wie unsere große Schöpferin uns alle auf die Erde gesandt hat. “
Also so bin ich nicht auf die Welt gekommen!, warf Dietmar ein.
Halt den Mund!“
„ – Es ist ähm ... Wenn du dich nicht von den konventionellen sexuellen Tabus löst, baust du unnötige Energieblockaden auf!“
Ich fände es ganz gut wenn er seine Energie ein wenig blockieren würde ...“
Schnauze, Dietmar! – Mike, entspann dich...“
Das einfühlsame Wesen Sandras und ihre warmen Schwingungen ließen Mikes naives Wesen sofort Vertrauen gewinnen und er berichtete freigiebig von der ungerechten Behandlung durch seinen Arbeitgeber. Immer wieder versuchte er seinen Penis zu verdecken, aber wenn er seine durch den Bizeps sowieso verkürzten Arme strecken wollte, schwoll seine Brust an und drückte die Arme nach außen. Schließlich beugte er sich und klemmte sein kleines Bodybuildergemächt zwischen die muskulösen Beine.
18.000 Euro …“, erwähnte Dietmar beiläufig, nachdem er Mikes Verrenkungen eingehend studiert hatte, „und wenn ich mir dein Krankenzimmer so vorstelle, kommt da bestimmt noch mal das Dreifache drauf …“
Dietmar, sein still!“, fauchte ihn Sandra an, doch es war schon zu spät: Mike begann sich unter entsetzlichem Stöhnen erneut zu transformieren: Beine und Arme dehnten sich aus und aus dem Oberkörper beulten sich Muskelmassen nach vorn …
Sandra und Dietmar sprangen entsetzt ein Stück zurück.
Mike, entspann dich …Tief atmen, ganz tief atmen!“, brüllte Sandra, aber Mike wuchs weiter.
Jetzt hilft nur noch Super-Power-Reiki“, murmelte sie, begann Formeln zu flüstern und spürte wie ihre weiße Energie auf Mikes Furor-Energie traf. Innerhalb von Sekunden hatte sie Mikes Herz erreicht und er begann erneut zu schrumpfen …
Doch offensichtlich waren die ständigen Transformationen für Mikes Organismus nun endgültig zu viel. Als er wieder Normalgröße erreicht hatte, kippte er bewusstlos zur Seite.
Da Feuerwehr und Polizei immer deutlicher vernehmbar wurden, entschied Sandra spontan: „Komm, wir nehmen ihn erst mal mit zu uns – die Bullen werden die riesigen Fußabdrücke entdecken und ihn hier finden!“
Ich will ja nichts sagen, aber dir ist schon bewusst, dass unser Freund unsere Wohnung in eine Ruine verwandeln wird, sobald er sich aufplustert?“
Du musst dein loses Mundwerk halten, dann wird Mike auch ruhig bleiben … Wir haben ein ganz anderes Problem: Er ist nackt! Wird ziemlich schwierig, mit ihm U-Bahn zu fahren.“
Am U-Bahnhof ist eine Altkleidersammlung, da ziehen wir ein paar Designerklamotten raus – schließlich sind wir hier in Zehlendorf!“
Okay, und bis dahin darfst du ihn tragen, du bist schließlich hier der Elitesoldat!“
Stöhnend hievte sich Dietmar das Muskelpaket Mike auf die Schultern und sie machten sich auf den Weg in ihre Neuköllner Wohnung.

Am nächsten Dienstag geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

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