Die
Hartz-Four Truppe entsteht
Was
bisher geschah: Kaum im reichen Zehlendorf angekommen, wird Dietmars
Superhelden-Identität von einem Flaschensammler entlarvt....
„Bist
du… du bist so ein Zauberer, so ein Magier… Nein, du bist: Ein
Superheld!“
Der Hartzie geriet richtig ins Schwärmen. Dietmar drückte sich an
dem Mundgeruch vorbei.
„Jaja,
alles klar, kann sein… Du, ich muss jetzt los!“
„Ey,
nö, warte mal!“ Dietmar sah, wie die eben noch müden Augen des
Mannes zu leuchten begannen.
„Ich
meine, ich kenn mich da aus, ich hab früher diese Superman- und
Batman-Comics gelesen. Und ich war ein riesiger Fan von Spiderman …“
„Das
habe ich sofort gesehen…“, unterbrach ihn Dietmar, doch der
andere ließ sich nicht stören.
„…Und
da hab ich mir immer vorgestellt, wie cool das wäre, wenn es
Spiderman richtig geben würde! Aber klar, die allgemeine Meinung war
immer: Die gibt’s nicht, die Superhelden, aber jetzt, ich meine, wo
es dich ja gibt… Verstehst du? Du bist ja vielleicht ein Superheld,
ohne es zu wissen…“
Er
schaute an der schlaksigen Statur Dietmars hoch.
„…Ich
meine, das ist wirklich nicht böse gemeint: Du siehst jetzt nicht
grade aus wie ein Held. Aber ich sag einfach mal so: Wenn es dich
gibt…“
Er
reckte sich, um Dietmar zuzuflüstern: „…Warum soll es dann nicht
auch richtige Superhelden geben, also die, die so spidermanmäßig
durch die Häuser springen können, oder so? Vielleicht gibt es die
ja, die werden nur von den bösen Mächten unterdrückt…“
„Hätt
ich bloß gelogen“, dachte Dietmar. Wenn er auf Superhelden-Nerds
traf, wurde es in der Regel nervig, weil er ihnen geduldig die
Existenz von diesen amerikanischen Comichelden ausreden musste –
das gehörte schließlich zur Aufgabe eines Hartz-Angels, denn ihr
Irrglaube konnte den Nerds gefährlich werden: Du darfst in dieser
Gesellschaft an die unbefleckte Empfängnis glauben, an die
Auferstehung Christi oder an 72 Jungfrauen, die dich im Himmel
erwarten, wenn du aber sagst: „Ja, ich glaube an Spiderman, ich bin
ein Spidermanjana“, dann hopp, ab geht’s in die Klapse.
„Nein,
die gibt es nicht!“, antwortete er mit fester Stimme.
„Sicher?
Aber wieso denn? Du hast doch grade zugegeben, dass du selber ein
Superheld bist!“ Dietmar sah in dem Blick eine Mischung aus Trotz
und Verzweiflung.
„Na
ja schon, aber …Na, das ist doch ganz klar: Mich gibt es – ich
bin ein Superheld, wie du eben feststellen durftest, aber es gibt
keine albernen Comichefte, in denen ich auftauche. Bei Spiderman ist
das anders: Es gibt Comichefte über ihn, dafür existiert er aber
nicht …“
„Und
das soll beweisen, dass es Spiderman nicht gibt?“
„Ja,
so etwas nennt man Dialektik …“
Der
Hartzie schwieg für einen Moment.
„Verstehe
…“, murmelte er frustriert und zog den Reißverschluss seiner
Jacke hoch.
„Abgesehen
davon ist es doch so viel besser: Was willst du denn mit einem Typen,
der an Spinnweben durch die Luft springt. Ich kann dir helfen, deine
Flaschen zu sammeln …“
„Ja
schon“, antwortete der Fremde frustriert und guckte Dietmar aus
feuchten Augen an. „Aber ich habe noch nie in einem Comicheft
gesehen, dass Leute wie ich, die eigentlich
mal Industriemechaniker gelernt haben, in Mülleimern nach
Pfandflaschen suchen müssen.“
Auf
diese Form der Dialektik hatte selbst Dietmar keine Antwort.
Diese
Welt braucht Veränderung! Wieder einmal wurde ihm die Dringlichkeit
eines Umsturzes dieser
bourgeoisen machiavellistischen Herrschaftsordnung bewusst. Denn
wie sollten sie allein, er und seine dreizehn Jahre jüngere
Schwester, zu „Angels“ für die Hartzies werden können? Beim
Mülldurchforsten helfen – das konnte nur ein Tropfen auf den
heißen Stein sein …
„Ich
muss jetzt wirklich“, sagte er und ließ den Penner einfach stehen.
„Ich
weiß genau, wo wir lang müssen“, rief Sandra ihrem Bruder
entgegen. „Das ist absolut genau wie in meinem Traum… Jetzt muss
ich nur noch meinem Gefühl folgen…“
„Na
dann fühle mal, ich folge,“ sagte Dietmar und trottete seiner
Schwester hinterher.
Nach
etwa fünf Minuten hatten die beiden gegenüber einer opulenten Villa
Position bezogen und Dietmar richtete sein Glasauge auf das
Erdgeschoss.
„Das
soll also dein Mike sein,“ sagte Dietmar „Oh ho, der hat ja ein
richtiges Bodybuilder-Kreuz. Du träumst also nachts von gut gebauten
Männern, die…“
Ist
dieser Mike jener Mike, der später in die Hartz-Four-Gruppe
einsteigen wird? Nächste Woche geht es weiter...
©
Georg Weisfeld c/o Agentur
Literatur Hebel & Bindermann
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