Hartz Four - eine Superhelden-Kurzgeschichten-Saga


Seit Jahren sind Hartz-IV-Empfänger die Deppen der Nation. Ob in Ein-Euro-Jobs als billige Arbeitskräfte missbraucht oder vom Jobcenter schikaniert – immer müssen Hartzies herhalten. Doch jetzt treten vier Superhelden in Berlin-Neukölln an die Seite der Armen und Entrechteten: Hartz – Four!

Dietmar Röber


Dietmar

Sandra Röber


Mike Matschke


Fred


Der Boss der Truppe verlor bei einem Unfall sein rechtes Auge. Das Glasauge, das man ihm dafür einsetzte, befähigt ihn nun durch Gegenstände schauen zu können...Dietmars kleine Schwester ist mit allen esoterischen Wassern gewaschen! Häufig sind es ihre prophetischen Träume, die der Hartz-Four Gruppe zeigen, welche arme Hartz-IV-Seele gerade Hilfe braucht.Seit einem allergischen Anfall verfügt dieser Bodybuilder über enorme physische Kräfte, die er allerdings nicht immer kontrollieren kann.Diesem Vollbluttrinker ist es gelungen seine Alkoholfahne zu domestizieren: Diese kann sich unsichtbar durch Räume bewegen und Stimmen imitieren - Sie ist das heimliche fünfte Mitglied des Hartz Four - Clans...



Dienstag, 29. Mai 2012


Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Der Ein-Euro-Jobber und Hobbybodybuilder Mike ist zusammengeklappt, aber zum Glück sind Dietmar und Sandra in der Gegend...

Wir müssen rein, der hat vielleicht ‘nen allergischen Schock! Ich ruf den Notarzt, du gehst vor!“, befahl seine Schwester.
Dietmar steuerte auf die Eingangstür zu und klingelte.
Das Yuppie-Girl macht nicht auf“, rief er Sandra zu.
Egal, wir müssen da rein, und zwar jetzt! Also mach!“
Innerhalb von Sekunden hatte Dietmar mit seinen Dietrichen die Tür geöffnet und kurze Zeit später standen sie vor dem auf dem Boden liegenden Mike, der aussah, als ob er dabei wäre, sich aufzulösen: Aus den Poren trat eine glitschige Flüssigkeit und durch die Kleidung waberten heiße Dämpfe …
Mann, bin ich froh, dass ich keine Allergien habe“, entfuhr es Dietmar. Sandra hatte ihrer Tasche derweil Kräuter und Heilsteine entnommen, wohl wissend, dass ihre spirituellen Kräfte allein kaum reichen würden, um Mike am Leben zu erhalten.
Fünf Minuten später trotteten zwei Rettungssanitäter mit Trage und Arztköfferchen in die Küche.
Oh Gott, was ist denn mit dem passiert? Ist der in einen Topf mit Salzsäure gesprungen?“
Nun hören Sie mal mit dem schamanischen Rumgehopse auf, ich muss mir hier erstmal ein Bild machen!“, entfuhr es dem einen nervös. Er beugte sich über den zischenden Körper: „Immerhin, er atmet noch …“
Was jetzt, Doc, sollen wir diesen Haufen Mensch mitnehmen?“, rief der Fahrer ungeduldig von der Tür aus.
Sie müssen“, insistierte Sandra, “er wird es schaffen!“
Ist das Ihr Anwesen?“, wandte sich der Fahrer erbost an sie „Diese ganzen zersägten Bäume da draußen – da können wir mit dem Rettungswagen natürlich schlecht aufs Gelände fahren. Na los …“
Wir kommen mit!“
Nein, das machen wir nicht, unser Freund ist doch in den besten Händen!“, entgegnete Dietmar, der gerade durch die Hauswand gesehen hatte, wie zwei Streifenwagen neben der Villa einparkten.
Rasch zog er seine Schwester Richtung Hinterausgang.

Wird Mike diesen Anfall überleben? Wird er weiter als leidenschaftlicher Ein-Euro-Jobber arbeiten können? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Dienstag, 22. Mai 2012


Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Dietmar und Sandra steuern auf das Haus zu, in dem der Ein-Euro-Jobber Mike an den Aufgaben seiner Arbeitgeber verzweifelt.

Nach etwa fünf Minuten hatten die beiden gegenüber einer opulenten Villa Position bezogen und Dietmar richtete sein Glasauge auf das Erdgeschoss.
Das soll also dein Mike sein,“ sagte Dietmar „Oh ho, der hat ja ein richtiges Bodybuilder-Kreuz. Du träumst also nachts von gut gebauten Männern, die…“
Halt deinen Mund“, fauchte Sandra.
Mann, Mann, Mann, der hat ja im Garten ganze Arbeit geleistet …“
Ja, ich glaube, es ist wirklich gut, dass wir hier sind!“.

Im Haus tat Mike derweil alles, um den Anforderungen seines Arbeitgebers gerecht zu werden.
Frau Klausen, bitte öffnen Sie die Tür, ich weiß, dass Sie da sind!
Ich bringe Ihnen Ihr Frühstück!“
Nichts – keine Reaktion.
Mike war erneut die Treppe zur Dachkammer emporgestiegen.
Ich habe hier zwei Brötchen mit Johannisbeermarmelade, ein Fünfeinhalb-Minuten-Ei, Kamel... äh, nee – karamellisierte Garnellen auf Räucherlachs und einen frisch gepressten Orangensaft. Steht zumindest auf dem Zettel!“
Wieder nichts…
Ihre Mutter hat mich beauftragt, Ihnen das Essen zu bringen, das ist wichtig für Sie! Und wenn ich das nicht mache, dann verliere ich meinen Ein-Euro-Job…“
Er donnerte mit der Faust gegen die Tür.
Ich warte jetzt hier so lange, bis Sie raus kommen… Irgendwann müssen Sie ja…“
Schmeißen Sie es weg“, hörte er plötzlich eine verängstigte Stimme von drinnen.
Wie bitte? …Sie sind also doch da!“
Ähm ja, schmeißen Sie das Frühstück einfach weg! Ich, ich hab keinen Hunger.“
Aber ihre Mutter…“
Ich sage Ihnen, wo Bargeld ist“, unterbrach ihn Patrizia, „da können Sie sich fünfzig Euro nehmen, wenn Sie mich in Ruhe lassen.“
Mann, das war allerdings verlockend! Schließlich musste er noch die Anabolika abbezahlen, die ihm sein Freund Rudi letztens mit ins Fitnessstudio gebracht hatte. Aber Mike zögerte nur kurz:
Nein, Frau Klausen, ich werde meinen Ein-Euro-Job nicht riskieren…“
Wenn Sie nicht machen, was ich sage“, hörte er die junge Frau kreischen, „dann sag ich meinen Eltern, dass Sie mich sexuell belästigt haben, und dann gehen Sie ins Gefängnis. Mein Vater ist Rechtsanwalt.“
Das saß. Mike verharrte reglos auf dem Treppenabsatz.
Na gut“, murmelte er schließlich. Dann lauter: „Ich werde Ihr Essen wegmachen, aber kein Wort zu Ihren Eltern.“ Und er trottete die Stufen wieder hinab.
Wenn nachher jemand die Reste im Müll findet“, dämmerte es ihm auf dem Weg nach unten, „dann bin ich meinen Job los.“ Er warf einen Blick auf das Tablett: „Ich muss den Kram selber fressen. Oh Mann, kaum Eiweiß oder Kohlenhydrate, aber Job ist eben Job …“ Doch eigentlich war alles ganz lecker, bis auf dieses Kamel-zeugs. Mike würgte. Als er überlegte, wie er sich weiter nützlich machen konnte, verspürte er plötzlich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Und dann ging alles sehr schnell: Ihm wurde heiß und immer heißer und seine massiven Beine klappten ohne Widerstand weg. Er krallte sich am Küchentisch fest – und dann wurde es schwarz vor seinen Augen.
Draußen kommentierte Dietmar die Ereignisse nur mit einem „Verdammt, die arme Sau hat irgendwas erwischt!
Von Yuppies vergiftet oder ein ganz gewöhnlicher Superhelden-Transformationsprozess? Nächste Woche erfahren wir mehr...
© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Mittwoch, 16. Mai 2012


Die Hartz-Four Truppe entsteht
Was bisher geschah: Kaum im reichen Zehlendorf angekommen, wird Dietmars Superhelden-Identität von einem Flaschensammler entlarvt....

Bist du… du bist so ein Zauberer, so ein Magier… Nein, du bist: Ein Superheld!“ Der Hartzie geriet richtig ins Schwärmen. Dietmar drückte sich an dem Mundgeruch vorbei.
Jaja, alles klar, kann sein… Du, ich muss jetzt los!“
Ey, nö, warte mal!“ Dietmar sah, wie die eben noch müden Augen des Mannes zu leuchten begannen.
Ich meine, ich kenn mich da aus, ich hab früher diese Superman- und Batman-Comics gelesen. Und ich war ein riesiger Fan von Spiderman …“
Das habe ich sofort gesehen…“, unterbrach ihn Dietmar, doch der andere ließ sich nicht stören.
„…Und da hab ich mir immer vorgestellt, wie cool das wäre, wenn es Spiderman richtig geben würde! Aber klar, die allgemeine Meinung war immer: Die gibt’s nicht, die Superhelden, aber jetzt, ich meine, wo es dich ja gibt… Verstehst du? Du bist ja vielleicht ein Superheld, ohne es zu wissen…“
Er schaute an der schlaksigen Statur Dietmars hoch.
„…Ich meine, das ist wirklich nicht böse gemeint: Du siehst jetzt nicht grade aus wie ein Held. Aber ich sag einfach mal so: Wenn es dich gibt…“
Er reckte sich, um Dietmar zuzuflüstern: „…Warum soll es dann nicht auch richtige Superhelden geben, also die, die so spidermanmäßig durch die Häuser springen können, oder so? Vielleicht gibt es die ja, die werden nur von den bösen Mächten unterdrückt…“
Hätt ich bloß gelogen“, dachte Dietmar. Wenn er auf Superhelden-Nerds traf, wurde es in der Regel nervig, weil er ihnen geduldig die Existenz von diesen amerikanischen Comichelden ausreden musste – das gehörte schließlich zur Aufgabe eines Hartz-Angels, denn ihr Irrglaube konnte den Nerds gefährlich werden: Du darfst in dieser Gesellschaft an die unbefleckte Empfängnis glauben, an die Auferstehung Christi oder an 72 Jungfrauen, die dich im Himmel erwarten, wenn du aber sagst: „Ja, ich glaube an Spiderman, ich bin ein Spidermanjana“, dann hopp, ab geht’s in die Klapse.
Nein, die gibt es nicht!“, antwortete er mit fester Stimme.
Sicher? Aber wieso denn? Du hast doch grade zugegeben, dass du selber ein Superheld bist!“ Dietmar sah in dem Blick eine Mischung aus Trotz und Verzweiflung.
Na ja schon, aber …Na, das ist doch ganz klar: Mich gibt es – ich bin ein Superheld, wie du eben feststellen durftest, aber es gibt keine albernen Comichefte, in denen ich auftauche. Bei Spiderman ist das anders: Es gibt Comichefte über ihn, dafür existiert er aber nicht …“
Und das soll beweisen, dass es Spiderman nicht gibt?“
Ja, so etwas nennt man Dialektik …“
Der Hartzie schwieg für einen Moment.
Verstehe …“, murmelte er frustriert und zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch.
Abgesehen davon ist es doch so viel besser: Was willst du denn mit einem Typen, der an Spinnweben durch die Luft springt. Ich kann dir helfen, deine Flaschen zu sammeln …“
Ja schon“, antwortete der Fremde frustriert und guckte Dietmar aus feuchten Augen an. „Aber ich habe noch nie in einem Comicheft gesehen, dass Leute wie ich, die eigentlich mal Industriemechaniker gelernt haben, in Mülleimern nach Pfandflaschen suchen müssen.“

Auf diese Form der Dialektik hatte selbst Dietmar keine Antwort.
Diese Welt braucht Veränderung! Wieder einmal wurde ihm die Dringlichkeit eines Umsturzes dieser bourgeoisen machiavellistischen Herrschaftsordnung bewusst. Denn wie sollten sie allein, er und seine dreizehn Jahre jüngere Schwester, zu „Angels“ für die Hartzies werden können? Beim Mülldurchforsten helfen – das konnte nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein …
Ich muss jetzt wirklich“, sagte er und ließ den Penner einfach stehen.

Ich weiß genau, wo wir lang müssen“, rief Sandra ihrem Bruder entgegen. „Das ist absolut genau wie in meinem Traum… Jetzt muss ich nur noch meinem Gefühl folgen…“
Na dann fühle mal, ich folge,“ sagte Dietmar und trottete seiner Schwester hinterher.
Nach etwa fünf Minuten hatten die beiden gegenüber einer opulenten Villa Position bezogen und Dietmar richtete sein Glasauge auf das Erdgeschoss.
Das soll also dein Mike sein,“ sagte Dietmar „Oh ho, der hat ja ein richtiges Bodybuilder-Kreuz. Du träumst also nachts von gut gebauten Männern, die…“
Ist dieser Mike jener Mike, der später in die Hartz-Four-Gruppe einsteigen wird? Nächste Woche geht es weiter...


© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann

Montag, 14. Mai 2012

Die Hartz-Four-Truppe entsteht
Was bisher geschah: Sandra und Dietmar sind nach Zehlendorf gefahren, um einem Ein-Euro-Jobber zu helfen, entdecken aber ein anderes Hartz-IV-Opfer...

Das gibt’s doch nicht.“ Dietmar und Sandra standen vor dem S-Bahnhof Nikolassee.
Na siehst du: Es gibt nicht nur in Neukölln hilfsbedürftige Menschen“, triumphierte Sandra.
Auf der anderen Seite des Bahnhofvorplatzes kramte ein Mann im Müll. Er trug einen weißen Anorak, hatte seine angegrauten Haare streng nach hinten gebunden und schleifte einen Einkaufstrolley hinter sich her.
Der weiß halt, dass die Snobs zu bequem sind, ihre Pfandflaschen wieder abzugeben – deswegen fährt der hier raus. Warte du mal hier, ich greif ihm kurz unter die Arme.“

Da ist nix drin“, brüllte Dietmar dem Mann zu.
Der sah verwirrt auf und knipste erschrocken die Taschenlampe aus, mit der er in den Mülleimer geleuchtet hatte.
In der anderen Tonne da drüben allerdings gibt‘s ‘ne PET-Flasche und ‘ne Bierflasche, komm mal mit …“
Wortlos schlurfte der Fremde Dietmar quer über den Platz hinterher und leuchtete dann in den Abfalleimer, den Dietmar ihm gezeigt hatte.
Stimmt,“ grummelte er und fischte eine leere 1,5 Liter Plastikflasche heraus.
Und ganz unten links liegt die Bierflasche, aber darüber …“, Dietmar scannte den Mülleimer erneut, „… tja, da hängen leider Reste von ‘ner Sushi-Platte…“
Kommentarlos langte der Mann in den Behälter.
Noch ein Stück weiter links ...“, dirigierte Dietmar und schon war die Flasche draußen und wurde im Hackenporsche verstaut.
Danke“, murmelte der Hartzie.
Keine Ursache“, antwortete Dietmar und winkte im Weggehen ab.
Hey wart‘ mal, sag mal, kannst du durch den Behälter gucken?“
Dietmar überlegte kurz, ob er lügen sollte, aber wahrscheinlich konnte der Typ mit der Wahrheit eh nicht viel anfangen:
Ja, mit meinem linken Auge kann ich durch Gegenstände sehen.“
Das verhärmte Gesicht und die müden Augen verrieten nicht, was im Kopf des Mannes, den Dietmar auf Anfang fünfzig schätzte, vorging.
Glaub ich nicht …“, antwortete er schließlich.
"Ist aber so. Egal, ich geh dann mal ... Aber dein T-Shirt solltest du mal wieder waschen, sonst gibt´s Ärger mit Spiderman!"

Der Hartzie zuckte zusammen, als hätte ihn der Blitz getroffen. Er riss den Reißverschluss seines Anoraks auf und starrte auf seine Brust, um zu schauen, welches T-Shirt er heute trug. Dann vergrub er den Kopf in der Jacke und nuschelte darunter hervor: „Da kann man nicht durchgucken … Krass, Alter! … Krass!“
Er schaute Dietmar entgeistert an, seine Lethargie war verschwunden: „Du hast geheime Fähigkeiten …“
Naja, jetzt sind sie ja nicht mehr so geheim …“, erwiderte Dietmar trocken.
Bist du … du bist so ein Zauberer, so ein Magier … Nein, du bist: Ein Superheld!“

Hat Dietmar seinen ersten Fan? Nächste Woche geht es weiter...

© Georg Weisfeld c/o Agentur Literatur Hebel & Bindermann